Tarifanwendungsfälle – einige haben bereits davon gehört, doch die wenigsten wissen genau, was dahintersteckt. Dabei ist es gerade in Zeiten der Digitalisierung spannend, einen Blick auf die Tarifanwendungsfälle zu werfen, um zu verstehen, was genau diese regeln und welche Möglichkeiten sich für Kunden ergeben können.
Was sind Tarifanwendungsfälle?
Ein Tarifanwendungsfall (TAF) ist eine einstellbare Funktion in einem Smart-Meter-Gateway, das Parameter und Datensätze enthält. Was kompliziert klingt, lässt sich anhand eines Beispiels auf einfache Weise erklären: Während in etwa einer Waschmaschine mehrere Programme oder Funktionen konfiguriert sind, verfügen auch intelligente Messsystem über mehrere Funktionen. Diese werden als Tarifanwendungsfälle bezeichnet und kommen etwa für die Erfassung des Zählerstandes alle 15 Minuten oder die Abbildung zeitvariabler Tarife zum Einsatz. Die soeben genannten sind zwei der in einem intelligenten Messsystem vorhandenen Tarifanwendungsfälle; insgesamt gibt es allerdings noch viele mehr. Zusammen beschreiben sie den Funktionsumfang von intelligenten Messsystemen, der vom Bundesamt für Sicherheit (BSI) und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) festgelegt wird. Das Ziel dabei ist, regulatorische Standards auf dem Markt zu implementieren. Die minimalen Anforderungen an das Smart-Meter-Gateway sind in der Technischen Richtlinie TR03109-1 des BSI festgeschrieben.Was wird durch die Tarifanwendungsfälle geregelt?
Durch die TAFs wird festgelegt, in welcher Häufigkeit und Auflösung das intelligente Messsystem Messwerte übertragt. Oder anders gesagt: Welche Verbrauchs- oder Leistungsmesswerte zu welchem Zeitpunkt und eventuell mit welchen Steuersignalen für Energieerzeuger oder Verbraucher von Smart Metern gesendet werden. Hinter diesen verschiedenen Varianten, mit denen der Energieverbrauch erfasst wird, verbergen sich unterschiedene Use-Cases oder energiewirtschaftliche Anwendungsfälle. Der erste Tarifanwendungsfall – auch TAF 1 genannt – trägt den Namen „Datensparsame Tarife“ und entspricht in etwa der jährlichen oder monatlichen Fernablesung des Zählers. Durch TAF 2 werden „zeitvariable Tarife“ abgebildet, während bei TAF 6 Messwerte im Bedarfsfall und bei TAF 7 (Zählerstandsgangmessung) Zählerstände in einem zeitlichen Fenster von jeweils 15 Minuten erfasst werden. Die TAFs 1, 2, 6 und 7 sind diejenigen, die derzeit von unserem intelligenten Messsystem mit Gateway einer unserer Partner PPC, Theben und EMH abgebildet werden können.Wie viele Tarifanwendungsfälle gibt es insgesamt?
Insgesamt gibt es derzeit 14 Tarifanwendungsfälle. Nicht alle TAFs werden im Smart Meter konfiguriert, sondern werden je nach Bedarf des Kunden in das Gateway vorprogrammiert.
Der letzte, TAF 14, ist eine für die Zukunft immer wichtig werdender Anwendungsfall. Deshalb hat inexogy auf diesen immer ein besonderes Augenmerk gelegt: Hier geht es um eine hochfrequente Bereitstellung von Messwerten, die als Grundlage von Mehrwertdiensten wie zum Beispiel die Visualisierung der Messdaten in einem Portal oder einer App dienen sollen.
Was konkret bedeuten die Tarifanwendungsfälle in der Praxis?
Hinter jedem Tarifanwendungsfall verbirgt sich eine konkrete Dienstleistung für den Kunden: Durch TAF 1 wird beispielsweise der jährliche Gang in den Keller zur Ablesung des alten, analogen Zählers durch eine komfortable und fehlerfreie Fernablesung ersetzt. Mit TAF 2 hingegen kann der Kunde eines Smart Meters beim Energieversorger einen zeitlich variablen Tarife auswählen und Stromlasten in günstigere Phasen verschieben – ähnlich dem Konzept des Hoch- und Niederstromtarifes, bei dem der Stromzähler nachts auf den günstigeren Niederstromtarif gesprungen ist.TAF 6 ist unter anderem für Mieter interessant, da dieser eine Übermittlung von Messwerten im Bedarfsfall durch den Smart Meter ermöglicht. Zieht beispielsweise ein Mieter aus, kann der Zählerstand am Ende seines letzten Tages in dem Mietobjekt abgerufen und dem Energieversorger zur Verfügung gestellt werden. Ein weiterer derzeit möglicher Tarifanwendungsfall ist der TAF 7. Dieser ermöglicht, dass die Zählerstände alle 15 Minuten erfasst werden. Da das Smart Meter mit dem Internet verbunden ist, werden die gemessenen Daten selbstständig an den Messstellenbetreiber gesendet.
Für viele Kunden ist es außerdem wichtig zu wissen, welche genau die Stromverbraucher im Haushalt oder Unternehmen sind. Genau hier kommt der TAF 14 zum Einsatz. Dieser kann durch die Erfassung und Übertragung von hochaufgelösten Daten Mehrwerte für den Kunden schaffen. Zum Beispiel, indem Messwerte allumfassend in einem Energieportal wie dem von inexogy visualisiert werden.
Auch für die BSI-Zertifizierung eines Smart-Meter-Gateways sind verschiedene Tarifanwendungsfälle notwendig. Seit Beginn des Rollouts liegt die Mindestanforderung bei vier der vierzehn TAFs: 1, 2, 6 und 7. Diese muss das Smart Meter mindestens abbilden können; allerdings gibt es heutzutage auch immer mehr Gateways, die zusätzliche TAFs erfüllen. Sobald ein neuer Anwendungsfall implementiert wurde, muss das Smart-Meter-Gateway rezertifiziert werden. Beispielsweise PPC, Theben und EMH sind diesen Schritt gegangen: Sie haben ihre Smart-Meter-Gateway-Software weiter entwickelt und rezertifizieren lassen. Die TAF 9, 10 und 14 konnten so implementiert werden. In der Theorie sollen so zukünftig alle der 14 TAF möglich werden – in der Praxis wird das allerdings wohl noch etwas dauern.
Die Tarifanwendungsfälle im Überblick
TAF 1: Datensparsame Tarife
Energieversorger sollen datensparsame Tarife anbieten, die Rückschlüsse auf das Nutzerverhalten verhindern sollen. In einem datensparsamen Tarif wird je nach Abrechnungsraum jeweils ein Zählerstand vom Gateway versendet. Der Abrechnungsraum beträgt mindestens einen Monat, kann jedoch durch eine Tarifwahl beim Energieversorger in der Regel auch anders ausgewählt werden.
TAF 2: Zeitvariable Tarife
Zeitvariable Tarife lassen sich am ehesten mit den bereits bekannten Hoch- und Niederstromtarifen vergleichen. Hierbei ist der Stromzähler nachts auf den Niederstromtarif umgestiegen, der etwas günstiger ist. Der TAF 2 ermöglicht es dem Energieversorger, Tarife anzubieten, die zeitvariabel sind. Das meint, dass sich die Preise nach vordefinierten Zeitabschnitten verändern. Dem Verbraucher wird so ein Anreiz zum Einsparen von Strom und Geld gegeben.
TAF 3: Lastvariable Tarife
Je nach aktueller Last wechselt der Stromtarif in eine andere sogenannte Laststufe. Wird eine festgelegte Lastschwelle übertreten, wechselt der Stromtarif automatisch. Die für die jeweilige Stufe zugrundeliegende Leistung kann durch den Istwert oder durch einen Mittelwert bestimmt werden. Dieser TAF ist insbesondere für große Gewerbe und Industriekunden relevant.
TAF 4: Verbrauchsvariable Tarife
Der Stromtarif teilt sich, je nach Verbrauch, in verschiedene Verbrauchsstufen. Jede Stufe umfasst eine festgelegte Energiemenge. Sobald eine Grenze überschritten wird, wird zur nächsthöheren gewechselt.
TAF 5: Ereignisvariable Tarife
Der Stromtarif wird in mehrere Tarifstufen eingeteilt, die an Bedingungen geknüpft sind. Diese Bedingungen beziehungsweise Ereignisse können entweder Smart Meter-Gateway-intern oder durch einen externen berechtigten Akteur hervorgerufen werden.
TAF 6: Abruf von Messwerten im Bedarfsfall
In begründeten Ausnahmefällen, wie einem Umzug oder einem Lieferantenwechsel, können die Messwerte vom Smart Meter-Gateway abgerufen werden. Damit das möglich ist, speichert das Gateway in einer sogenannten Messwertliste die täglichen Verbrauchswerte der letzten 6 Wochen. Daten, die älter als 6 Wochen sind, werden aus der Messwertliste gelöscht.
TAF 7: Zählerstandsgangmessung
Zählerstände werden in 15-Minuten-Intervallen erfasst. Der Anwendungsfall ermöglicht allerdings nicht nur die Erfassung, sondern auch die anschließende Versendung der Zählerstandsgänge (Verbrauch und Erzeugung).
TAF 8: Erfassung der Extremwerte für Leistung
Minimal- bzw. Maximalleistungswerte innerhalb eines Abrechnungszeitraums können erfasst werden. Dies ist beispielsweise interessant, um zu prüfen, wann vorher festgelegte Schwellwerte unter- oder überschritten werden. Durch diesen TAF ergeben sich somit wieder verschiedene Tarifmöglichkeiten. Beispielsweise könnte es ein Angebot geben, dass der Strompreis günstiger ist, solange eine bestimmte Mindestmenge abgenommen wird. Wird dieser Wert unterschritten, muss der Kunde einen höheren Preis zahlen.
TAF 9: Abruf der Ist-Einspeisung
Live-Daten von Erzeugungsanlagen können zur Netzregelung abgefragt und ausgelesen werden. Dieser Aspekt ist vor allem für die Netzstabilität sowie die Steuerung von intelligenten Netzen interessant und wichtig. Die abgerufenen Daten dürfen nicht zu Abrechnungszwecken genutzt werden, sondern nur im Rahmen einer Energiemanagementmaßnahme.
TAF 10: Abruf von Netzzustandsdaten
Ähnlich wie bei TAF 9 können Live-Daten zu Netzregelung abgefragt und ausgelesen werden; allerdings handelt es sich hier um die Netzzustandsdaten. Die Ablesung kann entweder periodisch oder bei eintreten eines Ereignisses, beispielsweise bei Über- oder Unterschreitung eines Schwellwertes, erfolgen.
TAF 11: Steuerung von unterbrechbaren Verbrauchseinrichtungen und Erzeugungsanlagen
Auf Grundlage von internen externen Ereignissen sollen Maßnahmen ergriffen werden können, um die Erzeugungsanlage und Verbrauchseinrichtung zu steuern; so beispielsweise das An- oder Abschalten der Anlagen bei bestimmten Ereignissen. Der Zeitpunkt sowie der aktuelle Zählerstand werden dabei festgehalten.
TAF 12: Prepaid-Tarif
Es wird bereits im Voraus eine bestimmte Energiemenge bezahlt und freigegeben. Wird diese Menge überschritten oder überschreitet sie einen vordefinierten Schwellwert, wird ein Signal an EMT und Kunden generiert. Anschließend muss eine neue Energiemenge bezahlt und freigeschaltet werden.
TAF 13: Letztverbraucher-Visualisierung
Dieser Anwendungsfall ermöglicht eine alternative Bereitstellung der Messwerte über das WAN (Wide Area Network)- anstatt der HAN (Home Area Network)-Schnittstelle für die Visualisierung. Das ermöglicht den Kunden, auch aus der Ferne (beispielsweise über das Internet oder ein Portal des Energieversorgers) auf die eigenen Daten zuzugreifen und sie im Blick zu behalten.
TAF 14: Hochfrequente Messwertbereitstellung für Mehrwertdienste
Die Werte, die in 15-Minuten-Intervallen gemessen wurden, werden je nach zeitlicher Auflösung wieder aufgeschlüsselt. Dies ermöglicht eine Visualisierung von hochaufgelösten Daten und Realisierung von darauf aufbauenden Dienstleistungen.