42 Prozent Einsparpotenzial für Kunden mit verschiebbaren Lasten
Für Stromkunden mit kompakten, verschiebbaren Lasten bergen zeitvariable Tarife ein hohes Potenzial. Wer sich mit Stromhandel beschäftigt, ist sich darüber im Klaren, dass Strompreise über den Tag hinweg keineswegs konstant sind. Vereinfacht ausgedrückt sind die Strompreise zu den Verbrauchsspitzen in den Morgen- und Abendstunden höher. Und im Jahr 2022 traten besonders große Strompreisunterschiede im Tagesverlauf auf. Der von Agora Energiewende veröffentlichte Rückblick auf 2022 wirft einen genauen Blick darauf: Demnach lag 2022 der Börsenstrompreis ohne Abgaben, Umlagen, Netzentgelte und Steuern von 17 bis 18 Uhr – den im Schnitt teuersten Stunden – bei knapp 319 EUR/MWh (dies entspricht 32 ct/kWh). Die Solarstromeinspeisung drückte den Strompreis besonders in den sonnenstarken Mittagsstunden. Der im Jahresmittel günstigste Preis von 186 EUR/MWh (dies entspricht rund 19 ct/kWh) trat in den Stunden von 12 bis 13 Uhr auf. Ein flexibler Verbraucher, der seinen täglichen Stromverbrauch von der teuersten Stunde (17 bis 18 Uhr) in die günstigste Stunde (12 bis 13 Uhr) verlagern kann, hätte 2022 im Schnitt rund 42 Prozent des Börsenstrompreises einsparen können. Insbesondere E-Auto-Besitzer sowie Betreiber von Wärmepumpen und Stromspeichern könnten davon profitieren. Aber auch Unternehmen oder Industriebetriebe mit punktuellen energieintensiven Prozessen, welche sich auf andere Zeitpunkte verlagern lassen, können sich zeitvariablen Stromtarifen zunutze machen. Dies gilt zunächst für die nächsten drei bis vier Jahre, in denen voraussichtlich die Strompreise auf hohem Niveau bleiben werden. Aber auch ab 2026, wenn ein Rückgang der Energiepreise infolge des Ausbaus der Erneuerbaren zu erwarten ist, werden zeitvariable Tarife weiterhin für Verbraucher rentabel sein, zumal die Anzahl an Zeitfenstern mit Strompreisen unter 5 ct/kWh deutlich zunehmen könnte.Disruptives Potenzial für die traditionelle Energieversorgung
Mit zeitvariablen Tarifen geht jedoch ein erhebliches disruptives Potenzial einher, das sich negativ auf das klassische Commodity-Geschäft zahlreicher Stadtwerke und Lieferanten auswirken wird. Nach der Stadtwerkestudie 2022 von BDEW und EY betrachten zwar Energieversorger zeitvariable Tarife als ein wichtiges Instrument für die Weiterentwicklung des klassischen Energievertriebs; doch die wenigsten befassen sich in ausreichendem Maße mit der Vorbereitung und Gestaltung dynamischer Stromtarife als ganzheitliches Lösungsangebot.
Dies ist insofern wichtig, als die Kundenanforderungen an zeitvariable Tarife um ein Vielfaches höher sind als bei festen Abrechnungsmodellen, bei denen die einzige Differenzierung zwischen den Wettbewerbern weitestgehend über den Preis erfolgt. In dieser Hinsicht müssen variable Tarife durch einen erweiterten Werkzeugkasten flankiert werden, wie etwa eine App zur Preise- und Verbrauchsvisualisierung, wodurch auch etwa die Steuerung großer Verbrauchseinrichtungen (Wallboxen, Wärmepumpen, Stromspeicher) oder Smart Home Geräte vorgenommen werden kann. Doch damit nicht genug: Auch die Bereitstellung oder die Vermittlung der Hardware und Messtechnik, um den Kunden den Zugang zur technischen Ausstattung zu erleichtern, lassen sich in Kombination mit zeitvariablen Tarifen durchaus sinnvoll und profitabel gestalten.
Die Integration von Hardware und Daten geht zweifellos mit großen Aufwänden einher, aber davon hängt letztlich der Erfolg eines variablen Tarifs ab, bei dem der Kunde seine Verbrauchsabläufe auf Grundlage der verschiedenen Preiszonen konfigurieren und optimal nutzen kann. Hier weisen bereits neue, innovative Player mit ihren Lösungen den Weg. Als besonders prominente Beispiele gelten beispielsweise Tibber und aWATTar, die auf die inexogy Messtechnik gesetzt haben, um mit beachtlichem Zuspruch die ersten stündlichen Tarife Deutschlands anzubieten. Aber auch andere Unternehmen, wie etwa Octopus Energy, sind in den Startlöchern, um den traditionellen, passiven Energieverbrauch auf ein neues Level zu heben.
Kooperationen zur Bewältigung der Transformation
Variable Tarife bieten in der Summe Möglichkeiten, stellen aber gleichzeitig die traditionelle Energieversorgung vor einen rapiden Wandel. Die Initiative zum richtigen Zeitpunkt zu ergreifen kann mittelfristig bedeuten, einen wichtigen Kundenstamm zu binden, dessen Stromverbrauch durch die Umstellung auf Elektroautos oder Wärmepumpen signifikant steigen wird. Bis 2030 sollte es in Deutschland 15 Mio. Elektroautos und 6 Mio. Wärmepumpen geben, deren Besitzer sich schrittweise von klassischer Festpreisversorgung abwenden werden. Kooperationen sind hier der Schlüssel. Denn nur so kann es gelingen, die anstehende Transformation kostengünstig und effizient anzugehen und den Einstieg in die zeitvariablen Tarife nicht zu verschlafen.Verwendete Quellen:
Agora Energiewende.
Agora Energiewende. Die Energiewende in Deutschland: Stand der Dinge 2022.
EY und bdew. Stadtwerke Studie 2022
Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Entwurf eines Gesetzes zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende