In der Theorie sollten sie Hand in Hand gehen: Einerseits der umkehrbare Weg zu einer nahezu elektrisch betriebenen Gesellschaft; anderseits der Ausbau der Stromnetze und deren Digitalisierung mit steuerbaren Smart Metern. Zwei Seiten derselben Medaille, die sich möglichst im gleichen Tempo und in voller Abstimmung miteinander entwickeln sollten. Die Realität sieht jedoch anders aus, und allein die hitzigen und noch andauernden Debatten um die Reform des §14a EnWG haben noch einmal deutlich gezeigt: Bei der Netzstabilität wird es nicht nur auf stärkere, klügere Netze ankommen, sondern auch auf eine dezentrale Energieversorgung, die sich entlastend auf das gesamte System auswirkt.
Dass Strom nicht über weite Strecken transportiert, sondern möglichst erzeugungsnah verbraucht werden soll, gehört zu den Prämissen der Energiewende. Das gilt insbesondere für städtische Gebiete, wo es bald auf engstem Raum hunderte von Elektroautos und Wärmepumpen geben wird. Kein Wunder also, dass nachhaltige Mieterstrom- und Quartierskonzepte immer wieder in den Fokus von Stadt- und Infrastrukturplanern rücken. Sie sind Teil der Lösung, auch wenn deren Umsetzung gesetzlich und organisatorisch mit zahlreichen Herausforderungen einhergeht.
Studie zeigt Stabilisierungs-Potenzial von Quartierskonzepte
Diesen Tenor schlägt auch eine kürzlich veröffentlichte Studie des Fraunhofer-Clusters Integrierte Energiesysteme (Cines) an, die auf eindrucksvolle Weise zeigt, inwiefern gebäudeübergreifende Quartierskonzepte einen entlastenden Effekt auf das gesamte Energiesystem haben und zur Netzstabilität beitragen können. Die Studie trägt den Titel “Vor-Ort-Systeme als flexibler Baustein im Energiesystem. Eine cross-sektorale Potenzialanalyse” und deren Ergebnisse sind zweifelsohne einen Blick wert. Im Rahmen der Studie zogen die Autoren ein real existierendes Quartier als Grundlage für die Untersuchungen heran. Hierbei handelt es sich um ein Wohnquartier in Bochum (Bärendorfer Straße, Stadtteil Weitmar) mit insgesamt 81 Wohneinheiten. Nachdem eine Datenbasis für alle relevanten elektrischen und thermischen Quartiersenergiebedarfe (in Bezug auf Haushaltsgröße, Ladepunkte, Wärmebedarf und -versorgung, PV-Produktion, Speicherkapazität etc.) geschaffen wurde, entwickelten die Forschenden verschiedene Szenarien, um das Flexibilitätspotenzial von Vor-Ort-Systemen untersuchen zu können. Diese Szenarien unterscheiden sich bezüglich möglicher Betriebsführungsansätze sowie berücksichtigter Flexibilitäten und wurden wie folgt eingeteilt:Referenzszenario und erste Stufe der Analyse
Als Grundlage und spätere Vergleichsbasis wurde zunächst ein Referenzszenario definiert, welches eine konventionelle Energieversorgung im Quartier vorsieht. In diesem Szenario erfolgt die elektrische Versorgung ausschließlich durch Bezug aus dem öffentlichen Versorgungsnetz, ohne zusätzliche EE-Erzeuger (z.B. PV-Anlage).
Szenario 1a: „Ungemanagte PV-Nutzung – Gebäudescharf”
In Szenario 1a wird das Referenzszenario um die Nutzung von PV-Anlagen erweitert. Diese kommen als reine Gebäude-PV-Anlagen zum Einsatz, sodass etwaige Erzeugungsüberschüsse nicht in anderen Gebäuden genutzt werden können.
Szenario 1b: „Ungemanagte PV-Nutzung – Quartiers-Sharing“
Im Gegensatz zu Szenario 1a werden in Szenario 1b die PV-Anlagen zu einer Quartiers-PV-Anlage zusammengefasst. In diesem Fall können Erzeugungsüberschüsse in anderen Gebäuden ausgeglichen und genutzt werden.
Für die Szenarien 1a und 1b kamen die Autoren zu folgenden Ergebnissen:
Key-Performance-Indicator
Reduktion CO2-Emissionen (cross-sektoral) [%]
Reduktion Primärenergiebedarf [%]
EE-Eigenverbrauchsquote (elektrisch) [%]
EE-Eigenversorgungsquote (elektrisch) [%]
EE-Eigenversorgungsquote (cross-sektoral) [%]
Szenario 1a
6,6
6,1
32,9
26,2
4,4
Szenario 1b
10,3
9,4
51,1
40,7
6,8
Mehr Eigenversorgung durch Quartierspeicher
In einer zweiten Stufe untersuchten die Autoren die Auswirkungen der Energiespeicherung auf die Quartiereffizienz. Dies erfolgt aus zwei Blickwinkeln: zum einen mit Fokus auf die Einspeisespitzenreduktion und zum anderen auf die Eigenverbrauchsmaximierung.
Szenario 2a:
„Regelbasierte Speichernutzung zur statischen Einspeisespitzenreduktion”
Auf Grundlage von Szenario 1b wird in Szenario 2a die Gebäude-PV-Anlage mit einem elektrischen Speicher versehen. Die Einspeicherung erfolgt in diesem Fall durch ein einfaches Regelwerk, indem die zulässige Einspeisung auf maximal 50% der installierten Nennleistung der PV-Anlage begrenzt wird. Bei Überschreiten dieser Grenze werden Erzeugungsüberschüsse zur Erhöhung des lokalen EE-Eigenverbrauchs und der lokalen EE-Eigenversorgung eingespeichert, anstatt diese ins Netz einzuspeisen.
Szenario 2b:
„Regelbasierte Speichernutzung zur Eigenverbrauchsmaximierung”
In Szenario 2b wird im Unterschied zu Szenario 2a ein anderes Regelwerk zum Laden des Stromspeichers angewandt. Sobald Erzeugungsüberschüsse vorliegen, wird der Speicher bis zum Erreichen der maximalen Speicherkapazität geladen.
Für diese beiden Szenarien ergaben sich folgende Ergebnisse:
Key-Performance-Indicator
Reduktion CO2-Emissionen (cross-sektoral) [%]
Reduktion Primärenergiebedarf [%]
EE-Eigenverbrauchsquote (elektrisch) [%]
EE-Eigenversorgungsquote (elektrisch) [%]
EE-Eigenversorgungsquote (cross-sektoral) [%]
Jahresvollzyklen Stromspeicher [1/a]
Szenario 2a
10,3
9,5
51,3
40,8
6,9
2,6
Szenario 2b
13,1
12
65,8
46,5
8,7
190,0
Quartiersenergiemanagement und erhöhter Einsatz von Wärmepumpen
In einer letzten Phase der Studie wurde die Nutzung eines Quartiersenergiemanagements untersucht, sowohl mit dem Ziel der Maximierung des Eigenverbrauchs als auch der Reduktion der Last- und Einspeisespitzen. Auch ein erhöhter Einsatz von Wärmepumpen wurde sektorübergreifend betrachtet.
Szenario 3a:
„Sektorenübergreifende Eigenverbrauchsoptimierung”
Anders als in allen vorherigen Szenarien wird in Szenario 3a die Nutzung eines Quartiersenergiemanagements zur sektorenübergreifenden Optimierung des Quartiersenergiesystems betrachtet. Ziel der Optimierung ist dabei die Maximierung des lokalen EE-Eigenverbrauchs und der lokalen EE-Eigenversorgung. Der Optimierungshorizont bildet das vollständige Kalenderjahr ab. Hierbei werden neben dem elektrischen Speicher auch die Wärmepumpen und Ladepunkte als Flexibilitätsoption genutzt. Als zusätzliche Flexibilität kommt ein Wärmespeicher zum Einsatz.
Szenario 3b:
„Sektorenübergreifende Eigenverbrauchsoptimierung mit Reduktion der Last- und Einspeisespitzen”
Analog zu Szenario 3a ist in Szenario 3b ebenfalls ein Quartiersenergiemanagement zur sektorenübergreifenden Optimierung und unter Berücksichtigung aller vorhandenen Flexibilitätsoptionen vorgesehen. In diesem Fall wird jedoch eine netzverträgliche Nutzung der Quartiersflexibilitäten (Minimierung der Last- und Einspeisespitzen) bei gleichzeitiger Maximierung der lokalen Eigenversorgung untersucht.
Szenario 3c:
„Sektorenübergreifende Eigenverbrauchsoptimierung mit erhöhtem Wärmepumpeneinsatz”
Um den Einfluss der thermischen Erzeuger auf die resultierenden KPIs zu untersuchen, wird mit Szenario 3c ein zusätzliches Szenario zur Optimierung des Quartiersenergiesystems definiert, in dem ein verstärkter Einsatz der Wärmepumpen zur Deckung der thermischen Last stattfindet.
Key-Performance-Indicator
Reduktion CO2-Emissionen (cross-sektoral) [%]
Reduktion Primärenergiebedarf [%]
EE-Eigenverbrauchsquote (elektrisch) [%]
EE-Eigenversorgungsquote (elektrisch) [%]
EE-Eigenversorgungsquote (cross-sektoral) [%]
Jahresvollzyklen Stromspeicher [1/a]
Jahresvollzyklen Wärmespeicher [1/a]
Szenario 3a
19,2
18,3
78,1
50,9
20
189,1
173,7
Szenario 3b
19,2
18,3
78,1
51
19,9
188,9
173,7
Szenario 3c
53,4
56,1
78,1
29,4
24,6
141,8
361,4
Die Auswertungsergebnisse verdeutlichen, dass nachhaltige Quartierskonzepte die Integrationsfähigkeit erneuerbarer Energien für das gesamte System erhöhen. Sie schaffen preisliche und ökologische Anreize für lokale Energiegemeinschaften, sofern ein Arealnetz vorhanden ist oder regulatorisch „Energy Sharing“ über das öffentliche Netz zugelassen wird, und tragen damit entscheidend zur Stabilität und Resilienz des Energiesystems bei.
Verwendete Quellen:
Fraunhofer CINES.
Vor-Ort-Systeme als flexibler Baustein im Energiesystem. Eine cross-sektorale Potenzialanalyse.