Im Gebäudesektor hat die Energiewende kaum begonnen. Der Zubau von Photovoltaikanlagen in Wohn- und Gewerbegebieten ist bisher deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Die Zahlen sprechen für sich: Von den förderfähigen 3 Gigawatt PV-Mieterstrom wurden bis Mitte Februar 2023 nur 116 Megawatt (MW) installiert. Das entspricht einem Rückstand von über 95 Prozent. Städtische Dachflächen bleiben damit eine ungenutzte Ressource der Energiewende, zum Nachteil der Klimaziele in den Kommunen und der zunehmend durch Wärmepumpe und Ladesäulen überlasteten Netze. Das Problem ist vielschichtig, aber eines ist inzwischen klar: Die Umsetzung von Mieterstrom muss deutlich vereinfacht werden, um Kosten und Aufwand für alle Beteiligten – insbesondere aber für die Mieterstrombetreiber – deutlich zu reduzieren.
Dass sich Mieterstrom bisher nicht als Standardlösung in Städten durchsetzen konnte, liegt unter anderem an den Kosten für die Messtechnik und der Komplexität der notwendigen Messkonzepte. Dies gilt insbesondere für das sogenannte Summenzählermodell, das bei den meisten Mieterstromprojekten zum Einsatz kommt. Dabei wird der Großteil des von der PV-Anlage erzeugten Stroms zunächst über einen Erzeugungszähler und die einzelnen Verbrauchszähler gemessen und fast vollständig direkt im Gebäude verbraucht. Am Übergabepunkt werden alle Verbrauchswerte des Gebäudes im Summenzähler zusammengeführt – einschließlich der Einspeisung von Überschussstrom.
Was einfach klingt, ist in der Umsetzung im Bestand recht aufwändig und kostenintensiv. Aufgrund der Stromlast ist der physikalische Summenzähler in aller Regel eine Wandlermessung mit eigenem Wandlerschrank. Dies führt bei PV-Anlagen auf Mehrfamilienhäusern und Gewerbeimmobilien zu Mehrkosten von 8.000 bis 10.000 € pro Netzanschluss (ca. 20% der Gesamtkosten). Allein aus diesem Grund sind die meisten Mieterstromprojekte in kleinen Gebäuden unwirtschaftlich oder werden nach einer ersten Evaluierung nicht weiter verfolgt. Der physische Summenzähler bietet zudem keinen Mehrwert für das Verteilnetz, da er lediglich die Lastgänge der hinter dem Netzanschluss liegenden Verbraucher und Erzeuger aggregiert, die ohnehin durch die jeweiligen Zähler – Untermessungen in der Mieterstromanlage – erfasst werden.
Vom physischen zum virtuellen Summenzähler
Eine wesentliche Vereinfachung bietet das Modell des virtuellen Summenzählers, dessen Einsatz seit Mai 2023 mit Inkrafttreten des Gesetzes zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende zulässig ist. Dabei werden alle Zählpunkte einer Liegenschaft mit intelligenten Messsystemen ausgestattet, um die PV-Produktion und die Verbräuche der Mietparteien viertelstündlich zu erfassen. Der physische Summenzähler wird durch einen digitalen virtuellen Summenzähler ersetzt, in dem die Messwerte aller Zählpunkte digital aggregiert und bilanziert werden.
Das Ergebnis: Teure Hardware und Umbaumaßnahmen im Zählerraum entfallen. Der Weg für Mieterstrom in vielen Mehrfamilienhäusern mit 3 bis 10 Wohneinheiten ist frei. Durch die Kostenersparnis mit dem virtuellen Summenzähler können nun mehr Projekte wirtschaftlich umgesetzt werden. Der Mieterstromspezialist EINHUNDERT rechnet damit, dass sich künftig 50 Prozent mehr Gebäude für ein PV-Mieterstromprojekt eignen. Zweifellos ein großer Schritt bei der Skalierung von Mieterstrom.
Vereinfachte Anmeldeprozesse in Mieterstrom durch den virtuellen Summenzähler
Dass der virtuelle Zähler die Nachfrage und Verbreitung von Mieterstrom deutlich steigern wird, liegt auch daran, dass sich seine Vorteile nicht auf die Projektumsetzung beschränken. Bisher waren die Wechselprozesse im Mieterstrom von Komplexität und Bürokratie geprägt. Wollte ein Mieter aus der Drittversorgung an Mieterstrom teilnehmen, war häufig der Besuch eines Elektrikers notwendig, um einen Smart Meter zu installieren.
Auch der Wechsel von Mieterstrom zurück in die Drittversorgung war mit hohem Aufwand für alle Beteiligte – Kunde, Verteilnetz, Messstellenbetrieb und Enegieversorger - verbunden. Der virtuelle Zähler beseitigt diese Hürden. Sowohl der Summenzähler als auch die am Mieterstrom teilnehmenden Mieter werden in einem sogenannten Lokationsbündel zusammengefasst. Möchte ein Teilnehmer aus dem Mieterstromangebot austreten oder diesem beitreten, muss er lediglich aus dem Lokationsbündel entfernt bzw. hinzugefügt werden. Auch eine eventuelle Rückabwicklung von Mieterstromprojekten wird entsprechend vereinfacht, weil lediglich die rechnerische Anpassung des Lokationsbündels notwendig wäre – anstatt der physischen Wechsel aller Messstellen.
Vorteile des virtuellen Summenzählers im Überblick
Zusammenfassend kann betont werden, dass der virtuelle Summenzähler erhebliche positive Effekte für den Ausbau der dezentralen PV-Versorgung in Wohn- und Gewerbeimmobilien mit sich bringt. Erläutert wurden diese Vorteile von Dr. Ernesto Garnier, Geschäftsführer von EINHUNDERT, in einer Konsultation im Bundestag zum Entwurf des Gesetzes zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende:
- Die hohen Mehrkosten für den physischen Summenzähler entfallen (ca. 20% Mehrkosten), so dass deutlich mehr Liegenschaften im Bestand mit PV-Strom ausgestattet werden können. Dies ermöglicht vor allem die Realisierung in kleineren Liegenschaften.
- Mit dem Einsatz des virtuellen Summenzählers kann auch - gemäß 6 MsBG - die Vollausstattung der Liegenschaft mit intelligenten Messsystemen durchgeführt werden. Bisher war nur die rechtssichere Ausstattung der Teilnehmenden am Mieterstrom möglich.
- Die messtechnische Einbindung steuerbarer Verbrauchseinrichtungen nach §14a wird deutlich erleichtert, wiederum im Sinne der Netzstabilität.
- Stromverbraucher in Liegenschaften mit Solarstromversorgung können der kollektiven Eigenverbrauchsgemeinschaft nach marktüblicher Kommunikation flexibel beitreten und austreten, ohne dass technische Umbaumaßnahmen oder besondere Aufwände erforderlich sind.
Erste Pilotprojekte in 2024
Auch für inexogy ist der virtuelle Zähler ein "Game Changer". Seine Realisierung verbindet unsere beiden Kernkompetenzen: den Einbau und Betrieb intelligenter Messsysteme und die Realisierung von Mieterstromprojekten. Im Laufe des Jahres 2024 werden wir mit ausgewählten Partnern die ersten Pilotprojekte durchführen. Aus deren Ergebnissen werden wir die notwendige Expertise sammeln, um mit dem virtuellen Zähler den Smart Meter Rollout in Wohn- und Gewerbeimmobilien voranzutreiben.
Webinar zum virtuellen Summenzähler
Das Thema des virtuellen Summenzählers ist sehr umfangreich und wirft immer noch viele Fragen auf. Aus diesem Grund haben wir am Mittwoch, den 3. Juli 2024, ein Webinar rund um den virtuellen Summenzähler durchgeführt. Im Webinar haben wir unter anderem einige gängige Messkonzepte gezeigt, spannende Einblicke in die gemeinschaftliche Energieversorgung gegeben und zahlreiche Fragen beantwortet. Falls Sie das Webinar verpasst haben oder sich die Inhalte noch einmal anschauen möchten, können Sie dies jederzeit auf unserem YouTube-Kanal tun.
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Verwendete Quellen:
Deutscher Bundestag. Stellungnahme EINHUNDERT Energie GmbH zum Entwurf des Gesetzes zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende. BT-Drucksache 20/5549. Mehr lesen.
Solarize. Virtueller Summenzähler: Ein einfacher Einstieg ins Mieterstrommodell. Mehr lesen.
EINHUNDERT. Drastische Vereinfachung von Mieterstrom durch das Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende und den virtuellen Summenzähler. Mehr lesen.